Andacht zum Monatsspruch im Juni 2019

Honigwaben
Bildrechte Adam Jones from Kelowna, BC, Canada

Freundliche Reden sind Honigseim, süß für die Seele und heilsam für die Glieder. (Sprüche 16,24)

Dieser Lebensweisheit aus dem Buch der Sprüche können wir wohl alle zustimmen. Wir alle haben es ja schon erlebt, wie gut es uns tut, wenn jemand freundlich mit uns redet – besonders dann, wenn wir gerade schlecht drauf oder schlecht dran sind, wenn wir das Gefühl haben, von unseren Mitmenschen und vom Glück verlassen zu sein.

Wenn dann jemand freundlich mit mir redet, sieht die Welt plötzlich ganz anders aus, selbst wenn sich meine Situation längst noch nicht geändert hat: ein Krankenzimmer plötzlich ein Raum des Miteinanders mitten in Furcht und Schmerzen; wieder Verbindung zwischen mir und meinen Mitmenschen, obwohl ich schuldig geworden bin; das Gefühl, wertvoll zu sein, obwohl meine Lage immer noch schwierig ist; …

Ja, es stimmt: Seele und Leib werden gestärkt, wenn jemand freundlich mit mir redet.

Und übrigens auch umgekehrt: Wenn ich freundlich mit jemand anderem rede, tut das auch mir selbst gut. Die Freundlichkeit, die ich einem anderen schenke, „fehlt“ mir danach nicht, sondern meine eigene Freundlichkeit wird dadurch sogar noch kräftiger. – Eine „Win-win-Situation“ nennt man so etwas heutzutage. Aber das ist kein besonders passender Ausdruck, finde ich, weil er so geschäftsmäßig und nicht besonders freundlich klingt.

Aber wenn Freundlichkeit nur Vorteile zu haben scheint, warum sind wir dann so oft unfreundlich oder zumindest gleichgültig unseren Mitmenschen gegenüber?

Vermutlich antworten wir auf diese Frage gerne ungefähr so: Diesem Menschen gegenüber kann und will ich nicht freundlich sein, weil er es nicht verdient hat. Oder: In diesem Fall ist Freundlichkeit nicht erfolgversprechend und führt nicht zum gewünschten Ziel.

Ehrlicher wäre in den meisten Fällen wohl eher die Antwort: Weil ich gerade nicht in freundlicher Stimmung bin. Weil ich in diesem Fall gar nicht freundlich sein will. Weil es mir schwerfällt, freundlich zu sein.

Ja, freundlich reden ist oft ganz schön anstrengend – besonders dann, wenn mir gar nicht danach zumute ist, weil ich traurig bin oder gleichgültig, weil ich Angst habe, weil ich mich ärgere, weil ich … gerade in diesem Moment gar nicht freundlich sein will!

Und dann frage ich mich: Kann ich das? Muss ich das? Darf ich das: Einem Anderen Honig ums Maul schmieren nur um des lieben Friedens willen?

Nein, das muss ich nicht. Aber „freundlich reden“ bedeutet auch gar nicht, jemandem Honig ums Maul zu schmieren. Es kann sogar bedeuten, jemanden zu kritisieren, meinem Ärger Ausdruck zu verleihen oder Ähnliches – aber eben freundlich, auf freundliche Art und Weise, also so, dass zwischen mir und dem anderen trotz allem ein guter Kontakt entstehen kann und nicht meine Worte eine Mauer zwischen uns hochziehen. Das schaffen wir oft ganz gut im Freundes- und Familienkreis. Warum versuchen wir es also nicht auch darüber hinaus, also da, wo es uns besonders schwerfällt, aber wo es auch besonders süß für die Seele und heilsam für den Leib wäre – und für unser Miteinander?

Pfarrer Thomas Miertschischk